Über Gewalt

 

Für mich hat ein neues philosophisches Forschungsprojekt im sprachanalytischen Forum begonnen: über Gewalt. Vorab ist lediglich vorgesehen, dass zwei Formen der Gewalt eine Rolle spielen werden, eine emotional bedingte Form und eine vergleichsweise rationale. Gewaltätiges Verhalten könnte ein Grund dafür sein, weshalb sich Menschen mit der Zivilsation besonders schwertun.

 

 

Wer sind unzivilisierte ‘Wilde’?

 

Im 19. Jhd. war man zu der Ansicht gekommen, dass besonders der erreichte Stand von Ökonomie, Technik und Wissenschaft in Europa und den USA ein Garant für Zivilisation war, unabhängig von etwaigen sozialen Errungenschaften, primär im Zusammenhang mit der industriellen Revolution. Als Kolonialmächte war man zu Sklaventreibern geworden, die Frauenbewegung begann in den Gesellschaften um eine Gleichberechtigung der Frauen zu kämpfen und ein Antisemitismus war weit verbreitet. Wie verblendet muss man gewesen sein, um überhaupt auf den Gedanken kommen zu können, die westlichen Staaten hätten in jener Zeit auch nur irgendetwas mit Zivilisation zu tun gehabt? Der Erste Weltkrieg zeigte eindrücklich den erlangten Stand, dem wenige Jahre später der Zweite Weltkrieg mit den Vernichtungslagern in Deutschland folgte, als hätte das erste Unheil nicht genug Schaden unter Lebewesen angerichtet.

 

Ein Sozialwissenschaftler, Norbert Elias, wehrte sich ab den Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts gegen die alte maßgebliche Bindung von Zivilisationen an Ökonomie, Technik und Wissenschaft, plädierte dafür, einfach den vergangenen sozialen Prozess zu betrachten. Leider verzichtete er darauf, ein Merkmal herauszuarbeiten, das maßgeblich zu sein hätte, um von einer Zivilisation sprechen zu können. Zivilisation und Barbarei (unzivilisiertes Verhalten) lassen sich in dieser Weise nicht differenzieren. Ein Merkmal anzugeben, hätte nicht erfordert, ein Ideal auszubilden, es hätte jedoch ermöglicht, dem zivilisatorischen Prozess, falls einer stattgefunden hat, einen historischen Anfang zuzuweisen. Die Frage nach einem zivilisatorischen Beginn war im Einundzwanzigsten Jahrhundert dringlicher geworden, weil sich allmählich eine Menschheitsgeschichte zu eröffnen begann, die mehrere hunderttausend Jahre umfasste.
Da setzen meine philosophischen Forschungen über Zivilisationen an. Im Herbst 2017 erschien als eBook der Titel „Über Zivilisationen und die Goldenen Regeln“, in dem es primär um ein sachlich angemessenes Wort ‚Zivilisation/en‘ geht. Weitere Informationen sind auf den → Verlagsseiten zu finden. Hier sei lediglich betont, dass wir weiterhin keine Zivilisation haben, vielleicht niemals eine erlangen werden.

 

 

Philosophie und Belletristik?

 

Beruflich beschäftige ich mich viel mit Philosophie und Belletristik, in beiden Fällen vorwiegend mit analytischen Ausrichtungen, die im sprachanalytischen Forum thematisiert werden, einer betrieblichen Forschungseinrichtung vom AutorenVerlag Matern (→ autorenverlag-matern.de). Weil sich niemand außer mir fand, der bzw. die bereit gewesen wäre, dem Publikum etwas über das Forum zu erzählen, nutzte ich einen familiären Anlass, eine Taufe, um die Geschichte der Einrichtung zu entrollen. Entstanden ist daraus ein anekdotisch konzipiertes eBook, das die Fragestellungen berücksichtigt, die grundlegend für die Forschungen waren: „Kulturlos, würdelos, aber bis an die Zähne bewaffnet.“ (→ autorenverlag-matern.de/index.php/buecher/belletristik.html)

 

Aber Vorsicht: Unsere Arbeit im Forum wird nicht umgangssprachlich geleitet, ohne Fachkenntnisse verstehen Sie vermutlich nicht einmal den Titel der anekdotischen Arbeit. Die erforderlichen Fachkenntnisse lassen sich inzwischen nicht einmal in den relevanten akademischen Disziplinen voraussetzen, unabhängig vom erlangten Grad.

Die etwaigen Verständnisschwierigkeiten sind sprachlich bedingt. Eine wissenschaftliche Herangehenweise wäre hilfreich, weniger hingegen eine praktische. Das Wort ‚Umgangssprache‘ nimmt auf die sprachlich gesellschaftliche Praxis Bezug, gehört aufgrund des differenten Bezugs der Umgangssprache aber nicht an.

Philosophie und Belletristik sind für uns zwei unterschiedliche Bereiche, beide zwar sprachlich, dennoch different. Die konzeptionelle Arbeit in der Belletristik kann auf die Philosophie verweisen, wie dies in Mark Ammerns belletristischem Konzeptbüchlein (Mark Ammern, 2017, Das literarische Konzeptbüchlein) geschehen ist, deshalb wird die konzeptionelle Arbeit aber nicht verständlicher, relativ häufig fehlen dazu die Voraussetzungen. Für wissenschaftstechnisch versierte Leser wird hingegen ein belletristisches Interesse an Grenzen stoßen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als bei der Lektüre meiner Anekdoten dennoch viel Freude zu wünschen.

 

 

Der Zwiespalt gegenüber dem Internet

 

Das Internet ist für nicht wenige Menschen zu einer Bereicherung geworden. Ich kenne es seit den Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts und ich bin inzwischen skeptischer gestimmt, besonders im Hinblick auf eine Nützlichkeit, die nicht an den Nerven zehrt oder fragwürdig geworden ist.
In den Gründerjahren bot sich ein weitgehend rechtsfreier Raum. Und relativ viele User mit verschiedenen sachlichen Interessen, ob physikalischen, philosophischen oder literarischen, tauschten sich aus. Es gab, sieht man von diesen Themenfeldern einmal ab, außer den jeweilig genutzen Technologien wie Html und Javaskript, wenig zu beachten. Durch das Interesse von Wirtschaft und Politik konnte es jedoch nicht dabei bleiben.

Inzwischen ist der Bedarf an rechtlichen und nutzerspezifischen Zusatzinformationen größer, als an angebotenen Primärinformationen. Kaum eine Seite ist während eines Surfens anzutreffen, bei der nicht etwas aufklappt, sei es auch nur rudimentär, um auf vergebene Cookies, auf eine Browseralternative mit Html 5, auf einen Newsletter oder sonstigen Pillepalle hinzuweisen. Der Spaß ist dahin.
Und die angebotenen Primärinformationen fallen dürftiger aus, sind, wohin man auch gelangt, auf Massen zugeschnitten, bieten grobe Vereinfachungen, Halbwahrheiten oder nur krudes Zeug. Das Internet entwickelt sich mehr und mehr zu einer leicht dirigierbaren Quatschsphäre!

 

 

Schenkt den Friedhofswärtern mehr Beachtung!

 

Ist ‚Neugierde‘ in der demographisch belasteten Gesellschaft ein Fremdwort geworden, auch unter jungen Leuten? Im Vordergrund von Gesprächen steht zumeist die Verwendbarkeit von angeblichem ‚Wissen‘ oder das Erlernen von Techniken, die gemeinhin als ‚kreativ‘ gelten. Beides ist rückwärts gewandt, auf Bekanntes. Falls überhaupt noch Worte ‚Neues‘ fallen, dann lediglich im Zusammenhang mit einem individuellen Kenntnisstand oder im Hinblick auf sogenannte Remixe. Und schnell sollte es gehen, mal eben, ohne lange zu grübeln.

Sich mit Musik zu beschäftigen, ohne eine Ahnung davon zu haben, was Musik ausmachen kann, gleichfalls mit Literatur, ohne einen Schimmer von Sprache zu haben, ist dominant geworden. Der gesellschaftlich ausgebreitete Dilettantismus nimmt die veralteten Konzepte der bürgerlichen Experten nicht einmal zur Kenntnis, schafft aber auch keine neuen, nicht einmal Ansätze. Die flache Naivität reicht zur praktischen Orientierung aus, während den bürgerlichen Experten kaum anderes übrigbleibt, als ihre künftigen, zu betorfende Grabstätten auszusuchen, die allenfalls Familienangehörige besuchen werden.

Leben wir in einer weitehend ungenutzen, verlorenen, unterschlagenen Zeit? Eine sich nicht mehr entwickelnde, auf Flachheit wie Sicherheit bedachte Gesellschaft, wäre dem Tod geweiht. Schenkt den Friedhofswärtern mehr Beachtung!

 

 

Ist die deutsche Gesellschaften nicht mehr zukunftsfähig?

 

Meine Kritik an der mangelhaften Berücksichtigung des in Deutschland weiterhin sehr kleinen E-Book-Marktes kam unter den Marktteilnehmern nicht sehr gut an. Einige möglichen Leser waren von der geäußerten Idee angetan, dem bürgerlichen Mobilar etwas Relevantes hinzuzufügen, Engine Hedda vom AutorenVerlag Matern produzierte sogar eine → Fakewerbung über die „Buchstation“, die ironisch gehalten war, nicht um zu werben, ein Produkt gäbe es ohnehin nicht, sondern um auf das Problem aufmerksam zu machen.

Auf Facebook kursierte einmal wieder ein Bild von → „Vorsicht Buch“, einer Kampagne des Deutschen Buchhandels, ein → Bild, das sich eindeutig gegen digitale Veränderungen auf dem Gesamtmarkt richtet, in dem es die bewährten Drucktechniken betont, eine Unabhängigkeit von Batterien usw., sogar behauptet, ein Buch sei ein ideales Geschenk für intelligente Menschen. Dass zu einem Buch mehr als nur Technik, Papier und Karton gehören könnten, auch Texte, eventuell Bilder oder Grafiken, geht in dem Schema völlig unter, auch dass nur für relativ wenige Bücher so etwas wie Intelligenz gefordert wäre. Ansprechparter ist laut Website der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. in Frankfurt. Die Kampagne „Vorsicht Buch“ bietet vor allem Pappklötze, Stolpersteine.

Es könnte verwundern, dass Bücher überhaupt noch anbietbar sind, abseits von Games, die als Leitmedium des 21. Jhds. gelten. Doch auch die Teilnehmer dieses Marktes scheinen es aufgrund festgefahrener Ansprüche nicht leicht zu haben, wie von → Christian Huberts in der ZEIT hervorgehoben wird. Ist die deutsche Gesellschaften nicht mehr zukunftsfähig?

 

 

Der Flair des Digitalen

 

Dies ist der dritte, ein umfänglicherer Beitrag über digitale Produkte, mit besonderer Berücksichtigung von eBooks. Begonnen hatte die kleine Reihe mit 'Digitale Verirrungen', fortgesetzt wurde sie mit 'Digitale Verwirrungen?', nun wird ein gangbarer Weg gesucht. Bei den → Ruhrbaronen ist inzwischen eine Gesamtübersicht erschienen, inklusive eines Videolinks.

Der zentrale Unterschied zu den USA, wo eBooks bereits in der Vergangenheit einen Marktanteil von bis zu 22% (2013) erlangen konnten, liegt in der unterschiedlichen Buchhandelsdichte. In den Städten der USA an Bücher zu kommen, ist weitaus schwieriger als in Deutschland. Offensichtlich bietet sich dort nicht nur das Internet als Bestellmöglichkeit an, sondern auch der Kauf von eBooks, weil diese digitalen Produkte einfach über die Datenleitungen zu haben sind, keine Wartezeit entsteht.

Diese unterschiedlichen Bedingungen wurden seit dem Vertrieb von eBooks in Deutschland stets vernachlässigt, obgleich es sich um sogenannte ‚harte Fakten‘ handelt, die unabhängig von Geschmäckern gelten. Und je stärker man versucht, diesen Fakten in der Öffentlichkeitsarbeit auszuweichen, um so possenhafter wird sie. Um es separat hervorzuheben: eBooks sind im Rahmen der beobachtbaren Buchhandelsdichte in Deutschland nicht ohne Weiteres konkurrenzfähig!

Wenn Verlage, deren Papierprodukte im Handel ausgestellt werden, und auch Buchhändler keinen wirtschaftlichen Grund sehen, sich anders zu orientieren, wird sich in Deutschland auch nichts ändern. Niemand kann ernsthaft der alten Buchindustrie alles Schlechte wünschen, die Händler-Konkurrenz ist durch den Onlinehandel ohnehin härter geworden, den eBooks und ihren möglichen Käufern fehlt aber ein Image. Zum Vergleich: Regale voller Bücher beeindrucken, sie verbreiten ein Flair und weisen den Bücherliebhaber als besonderen Menschen aus, unabhängig davon, was und wieviel tatsächlich gelesen wurde. Regale voller Bücher gehören zum bürgerlichen Mobiliar, wie ein Fernseher und eine Musikanlage.

Bezieht man ein, dass auch technische Geräte zum bürgerlichen Flair gehören, ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass auch elektronische Bücher ein bürgerliches Heim finden könnten. Es wäre z.B. zu fragen, ob sich nicht Buch- oder Medienstationen einrichten ließen, beliebig positionierbar, auch auf einem sehr alten, aufgearbeiteten Sekretär, inklusive Verwaltungsprogramm und einem Speicher, der eine öffentliche Bibliothek fassen könnte. Details wären gesondert zu klären. Es muss die Menschen wuschig machen können, nach Bedarf auf etwas zuzugreifen, dass durch ein paar Regale nicht erreichbar ist. Und es wäre erforderlich, dass jeder Besucher z.B. lesen könnte: ‚BUCHSTATION‘. - Wow!

 

 

Digitale Verwirrungen?

 

Der Anteil von möglichen Lesern, die in Deutschland eBooks lesen, stagniert seit Jahren auf einem äußerst niedrigen Niveau. Je nach Umfrage lagen die Werte zwischen 4 bis 6 Prozent. Ähnlich gestalten sich auch die Ergebnisse der aktuellen Bitkom Umfrage (u.a.) für den Börsenverein des deutschen Buchhandels, die von diesem am 07. Okt. veröffentlicht wurden. Diesen geringen Anteil als Basis für Prognosen zu nehmen, wie und von wem in Zukunft was für eBooks gelesen werden, wäre äußerst fahrlässig. Man würde das Verhalten der verschwindend kleinen Menge als repräsentativ für umfänglichere Märkte ausgeben, die in Zukunft zu beobachten seien.
Die möglichen Leser digitaler Literatur, wieviel aus einem elektronischen Buch tatsächlich gelesen wird, bleibt völlig offen, die man weiterhin gleichsam an einer Hand abzählen könnte, nutzen der Umfrage nach überwiegend Laptops (41%), Smartphones (38%) und E-Reader (33%). Ein Lesegerät hat sich demnach nicht herausgebildet, auch nicht innerhalb der kleinen Gruppe. Vom Verkauf profitieren konnten bislang vor allem Selfpublisher, die mit ihren Titeln (überwiegend mit Genre-Titeln) in den Ranglisten der Shops weit oben stehen.

Die bisherigen Anstrengungen der Promoter, Vertriebler und Beschöniger haben zu nichts geführt. Kurz und bündig: Auf dem Markt ereignet sich weiterhin so gut wie nichts.

 

 

Digitale Verirrungen

 

Ist man mit seiner Arbeit in digitalen Märkten involviert, gilt ein Smartphone selbstverständlich als Voraussetzung. Doch wofür? Ich habe nicht einmal ein winziges Mobile. Was sollte ich mit einem sperrigen Smartphone?
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Telefongesellschaft schlugen mir bereits viele Male vor, doch endlich erreichbar zu werden, worauf ich irritiert fragen konnte, ob sie mich nicht erreicht hätten? Aber, so gaben mir die Anrufer kund, sie hätten fantastische Angebote. Mehr als ein knapp gehaltenes Mitleid brachte ich jedoch nicht über die trockenen Lippen.
Im Rahmen der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wurde ein sogenannter Orbanism Space eröffnet, der als Netzwerk der digitalen Communities angekündigt wurde. Weshalb sich Netzwerke in einem Space knubbeln oder verheddern sollten, blieb jedoch völlig unklar. Verbinden Netzwerke, wenigstens die Frage sei gestattet, nicht lange, bisweilen unwegsame Distanzen?
Auf einer der Veranstaltungsankündigungen (Mi., 14.10.2015) ist zu lesen: „Jeder hat (mindestens) ein Smartphone und nutzt das Smartphone jederzeit und überall zum Beispiel für Recherchen, Navigation sowie zum Lesen, Musik hören und zum Bezahlen über eine eWallet.“ Sorry, könnte ich antworten, ich lese an einem relativ kleinen Zweiundzwanzig-Zoll-Monitor und werde mir nicht einen grauen oder grünen Star wegen irgendwelcher lukenhafter Displays zulegen. Um auch Musik hören zu können, verwende ich ein separates Audiointerface und einen Studio-Kopfhörer. Mit jenem sonderbaren Telefon-Consumer-Teil, hätte ich anzumerken, wüsste ich nichts, aber auch gar nichts anzufangen.

 

 

„Müde bin ich, geh zur Ruh“

 

Europa, so ist öffentlich immer wieder zu vernehmen, leidet an einer intellektuellen Müdigkeit. Auch ich spüre eine solche, jedoch als Reaktion auf das öffentliche Verhalten: ein Plaudern um des Plauderns willen, als sozialer Akt, unabhängig von möglichen oder unmöglichen Bezügen. Die öffentlich ergähnten Schwemmen von Worten ‚Kultur‘ und ‚Kreativität‘ sind exzessive Beispiele der kognitiven Erlahmung; als ein weiterer Befund ließen sich Verlautbarungen von ‚Vernunft‘ anführen, ob in universitären, wirtschaftlichen oder politischen Kontexten. Irritationen begegnet man allenfalls mit Skizzierungen von Bedeutungen, jedoch widerwillig, im Grunde sei das doch alles klar.

Klar erkennbar ist jedoch bloß die öffentliche Müdigkeit, sich der Sprache zu widmen, die Anlass für all das mitleiderregende Gähnen ist. Kindern würde man anraten, rasch ins Bett zu gehen. Husch husch. Doch wer singt der Öffentlichkeit ein angemessenes Lied, eines, das z.B. wie folgt beginnen könnte?

„Müde bin ich, geh zur Ruh,
schließe beide Äuglein zu.
Vater, lass die Augen dein
über meinem Bette sein.“

Unter christlich erzogenen Kindern soll es Variationen des Textes von Luise Hensel (1798 –1876) gegeben haben. Besonders beliebt sei gewesen: „Vater, lass die Hände dein / unter meiner Decke sein.“ Eine vergnügliche Nacht!

 

 

Kein Werber - am wenigsten für mich selber?

 

Sich verunsichern zu lassen, ist selten angenehm, es fällt leichter, wenn man es thematisiert:

Eine liebe Bekannte, die als freie Unternehmensberaterin arbeitet, sich in ihrer beratenden Tätigkeit auch als Coach versteht, bat mich, ihr einen Vorschlag zur Textgestaltung für ihre Website zu machen. Besonders die beratende Tätigkeit, die ziemlich formell und infohaft beschrieben wurde, sollte emotionaler erläutert werden. Nach einigen Wort- und Formulierungseinfällen nahm ich das seitenbreite Bild, das einen Blick auf die See und einen Leuchtturm gestattete, als Ansatz für eine konkrete Ausgestaltung und mailte ihr den Vorschlag. Einige Tage später meldete sie sich telefonisch: der Text sei außergewöhnlich, jedoch werblich nicht nutzbar. Mit Ablehnungen hat man im Leben täglich umzugehen, auch und besonders als Texter, meine Frage richtet sich auf etwas anderes: Was hab ich angestellt? Anbei ein Ausschnitt, in dem auf die Liste von Qualitätsmerkmalen verzichtet wird:

„Im Coaching locke ich Kunden aus verfahrenen Situationen heraus. Es mag verwegen sein, in Untiefen zu geraten, doch falls keine unternehmerische Performance und Entwicklung mehr möglich ist, weil Flachwässer und Sandbänke die freie Fahrt beschränken, gar bedrohen, sind andere Wege zu finden. Der erste Schritt hat in tiefere Gewässer zu führen, um angemessene Perspektiven eröffnen zu können.
Bereits dieser Schritt erfordert eine aktive Mitwirkung meiner Kunden, denn nur diese kennen die persönlichen oder marktbedingten Hemmnisse, die aufgetreten sind. Ebenso benötige ich in einem zweiten Schritt ihre Offenheit, die eigenen Stärken ergründen zu wollen und neu auszurichten, damit wieder Fahrt am Wind aufgenommen werden kann.“

 

 

Stoff für das fluidale Innenleben

 

Seitdem überwiegend von Kultur oder Kreativwirtschaft die Rede ist, kaum noch von Kunst, sind die Künste in ernster Gefahr. Fehlt es gesellschaftlich an Sensibilität? Sind wir medial verseucht?

Es gehörte zu den Innovationen im Marketing, kaum mehr Produkte, sondern Emotionen und Fantasien anzubieten, Stoff für das fluidale Innenleben potentieller Kunden! Die Produkte sind zu einer Nebensache geworden, aber die sinnliche Assoziation hat stark genug zu sein, um die Angebote fast unbemerkt zu binden. Erträumbare Gerüche führen viel leichter zu einem Parfümflakon, als eine medial direkte Kundenansprache, die mit den Worten erfolgt: „Das riecht aber gut.“ Bilder, ihre Ausdruckskraft und -fülle, wirken ähnlich einer Drogeninjektion, direkt und schnell; Wind hat durchs Haar zu streichen, unterstützt von einer schlanken Hand, der Himmel hat über einem Platz aufzureißen, und in der horizontalen Ferne glänzt die weite See. Eine touristische Bekanntheit des eingefangenen Ortes könnte sich jedoch als störend erweisen, falls es auf dem Platz auch mal fischig riecht.

Ist das Vertrauen in Bilder eher gering, ob gegenüber dem Auftraggeber oder möglichen Kunden, um so heftiger wird von Agenturen aufgetragen, bis die angedeutete Story eventuell in waberndem Kitsch ertrinkt. Es handelt sich keineswegs um eine Frage des Geschmacks, sondern der zumutbaren Sensibilität. Ist sie aus Erfahrung nicht sehr ausgeprägt, sind Ambiente und Glamour aufzuwerten, bis die verabreichte Droge die Hirnzellen aufstoßen kann, damit Himmel werde. - Unter Umständen hat ein eleganter Sensenmann beizufahren, der leicht aus vergangenen Jahrhunderten stammen könnte, um die Bremswirkung eines modernen Fahrzeugs zu betonen. In diesem Fall ist es der plötzlich spürbare Bodenkontakt, der aufatmen lässt, auch falls die Knie nachbeben.

Unverkennbar handelt es sich um typische Luxusprodukte, die in der beschriebenen Weise umworben werden. Von Ökonomen werden üblicherweise auch Kunstprodukte zum Luxus gerechnet, doch die erläuterte Marketingmethode kann nur scheitern. In der Ökonomie werden Kitsch und Kunst nicht geschieden! In der Ökonomie zählt der Erfolg. Künste sind bestenfalls anders. Völlig unbekannt.

 

 

Ist Wahrheit logisch möglich?

 

Mit Sprache umzugehen, ist gar nicht leicht. Ich möchte einmal erläutern, wie schwer es sein kann, und zwar anhand eines konkreten sprachphilosophischen Problems:

Die Frage der Überschrift klingt alles andere als selbstverständlich. Wird nicht besonders logische Richtigkeit mit Wahrheit assoziiert? Doch auch diese Formulierung hat Tücken: Ist Wahrheit bloß eine relativ beliebige Assoziation? Wenn logische Richtigkeit in Frage stünde, wofür bräuchte man den Lautkomplex ‚Wahrheit‘? Würde ‚Wahrheit‘ nicht ablenken, von dem, was konkret in Frage stehen könnte, einer logischen Richtigkeit? Der Lautkomplex ‚Wahrheit‘ wäre einfach überflüssig.
Doch handelt es sich bei ‚Wahrheit‘ nicht um einen, ich sage mal renommierten Begriff? Mit ‚Renommee‘ käme aber eine soziale Eigenschaft hinzu, die normalerweise Worten nicht zugesprochen wird. Auch ‚Begriff‘ ist bereits bildhaft hochtrabend, denn begriffen habe ich noch gar nichts. Aber ‚Begriff‘ könnte deutlich machen, dass ‚Wahrheit‘ nicht nur mit Richtigkeit assoziiert wird, sondern auch mit Bezug, mit vorliegendem Bezug, denn wie ich bildhaft etwas ergreifen könnte, wäre es vielleicht möglich, mich sprachlich auf etwas zu beziehen, über etwas zu sprechen, eine Aussage zu tätigen, die unter Umständen wahr sein könnte. Und tatsächlich, diese Umstände formal zu fassen, war über Jahrzehnte eine dringliche Aufgabe der Logik und Sprachphilosophie.
Bitte nicht lachen, es war akademisch relevant, festzuhalten, dass der Satz ‚Der Schnee ist weiß‘ genau dann wahr sei, wenn der Schnee weiß wäre. Einfacher hätte es sein können, schlicht von einem möglicherweise vorliegenden Bezug zu sprechen, denn diese Formulierung könnte den Sachverhalt konkret fassen, auf ‚Wahrheit‘ ist auch in diesem Kontext leicht verzichtbar.

Wer auf Lametta steht, dem wird ‚Wahrheit‘ noch gefallen, der hätte sich lediglich zu entscheiden, welche Farbe ihm lieber ist, sachlich relevant wäre der Schmuck hingegen nicht, zumal es nicht um einen Weihnachtsbaum, sondern um Sprache geht. Und vorliegende Bezüge gegen logische Richtigkeit auszuspielen, oder umgekehrt, indem man sich für eine Farbe entscheidet, um nicht in Beliebigkeit zu fallen, würde eine relative Beliebigkeit in der sprachlichen Auswahl kundtun und z.B. die logische Richtigkeit von ‚Der Schnee ist weiß‘ sei genau dann wahr, wenn der Schnee weiß wäre fraglich werden lassen. Warum? ‚Wahr‘ wäre innerhalb des Satzes bloß eine relativ beliebige sprachliche Assoziation, obgleich sie eventuell im Rahmen einer Tautologie gleichsam auf logischen Füßen stünde. Doch nicht einmal eine Tautologie ist auszumachen. Faktisch handelt es sich um formalisierte Kausalrelation, in der es um die sorgsam versteckte Bitte einer Zustimmung geht. Ist der Umstand gegeben, dass Schnee weiß ist, dann ließe sich wahrheitsgemäß formulieren, der Schnee sei weiß. Ich müsste gestehen, dass ich dieser Erläuterung nicht zustimmen könnte! Mich würde die sprachliche Beliebigkeit stören.

Abschließend ließe sich zwischen Weihnachtsmännern und Philosophen differenzieren, doch damit würde ich einen Fehler begehen, der schon einmal auftauchte, einer sozialen Relevanz nachspüren wollen, die logisch völlig unerheblich ist.

 

 

Was wünschen Sie?

 

Agenturen entwickeln Vorhaben für ihre Kunden. Ist man als Texter von Beginn an involviert, bekommt man nicht nur die Planungsphase mit, man sollte sich auch einbringen. Als Außenstehender, der hinzugezogen wird, kann es geschehen, dass man so gut wie nichts erfährt.

Es ist eventuell schwer zu glauben, doch es ist gar nicht leicht, herauszubekommen, was die Kunden eines Texters möglicherweise wünschen. Am leichtesten war mir der Umgang mit einem privaten Kunden, der Interesse daran hatte, dass seine Kindheitserfahrungen textlich aufbereitet wurden (siehe unten: „Die Schrift“). Ihn konnte ich einfach berichten lassen, während ich mir mit Stift und Zettel in den Händen Notizen machte; aus dem Geäußerten waren erst Geschichten zusammenzustellen, zu entwickeln.

Werden einem jedoch über eine Werbeagentur Dateien zugemailt, um in einer entstandenen Personalnot zu helfen, mit dem knappen Hinweis, der Kunde, eine Versicherung, hätte den Text gerne peppiger, kommt man leicht ins Grübeln. Das übermitteltete Schriftstück enthielt administrative Informationen, ungelenk formuliert, doch was könnte der Agenturkunde unter ‚peppig‘ verstehen? Brause, so schätzte ich sein Interesse ein, wollte er nicht verkaufen.

Um mit Sprache arbeiten zu können, sind relativ viele Auskünfte erforderlich, nicht um möglichst alle zu integrieren, sondern um auswählen, dem Text eine konkrete Form geben zu können. Zu solchen Informationen gehören auch die speziellen Anliegen, Erwartungshaltungen, die mögliche Auftraggeber an eine Dienstleistung haben. Dies ist nicht nur für eine Textentwicklung wichtig: vielleicht ist aus Werbersicht darüber zu sprechen?

Ich betone es zum Schuß: Was wünschen Sie?! Und entledigen Sie sich der Scham, einfach draufloszuplappern. Es wäre fatal, wenn Sie schwiegen!

 

 

Ein ganzes Leben lang?

 

Ein vorsichtiger Blick in die Bloggerwelt, gleichfalls ein Blick zurück, aus Sicht eines Texters.

Mit der technischen Entwicklung von sogenannten Mangagement-Systemen bekam jeder die Möglichkeit, sich als Schreiberling auszuprobieren. Eine Motivation eröffnete sich leicht: Hatte man nicht bereits in der Schule Aufsätze geschrieben, vielleicht sogar das eine oder andere Gedicht? Und die Mitschüler, hatten die etwa nicht geklascht? Weiterzutragende Meinungen drängten ohnehin.
Ebenso rasch traten die ersten Experten auf, Lehrerersätze, die Stichworte in den entstandenen Bloggerszenen verbreiteten; eines der wichtigsten kursierenden Buzzwords wurde ‚Storytelling‘.
Es entstand eine öffentliche Schule, in der die lautesten Schreihälse dominieren. Eine Story, so lässt sich aufschnappen, hat Anfang und Ende, machmal auch einen Verlauf. Und Sprache, dafür gibts den Online-Duden, ein Lesezeichen erleichtert den Suchgriff. Die administrativen Hilfen, die szeneintern angeboten werden, vom In-Themen-Finden bis zu SEO, dienen vor allem einer wachsenden öffentlichen Popularität. Als zentrale Motivation enblößt sich, das lokale Ego aufzuplustern, ohne Rücksicht auf eine Sache. Ob man sachlich Relevantes anzubieten hat, darüber wird zumindest nicht gespochen.

Ich hätte von Beginn an nicht mithalten können. Als wir in der Schule aufgefordert waren, zu Hause einen Märchentext über das untergegangene Rungholt weiterzuerzählen, diktierte mir die Fantasie acht Schulheftseiten. Die Ergebnisse der Mitschüler waren sehr viel kürzer. Bis zu drei Seiten, mehr gelang ihnen nicht. Im Unterricht überraschte mich der Deutschlehrer, ein korpulenter älterer Herr mit Glatze, dessen Kopf hochrot glänzte, als würde er jeden Moment platzen können, meinen Text vorlesen zu sollen, doch rasch war Schluss. Nach zwei Seiten ertönte: „Das reicht!“ Diese Reaktion war durchaus typisch. Ein kurzes Kennenlernen: ich selber erinnere mich kaum, wer oder was ich war. Auch mir musste es gereicht haben. Doch Popularität zu erlangen, interessierte mich weiterhin nicht. Ich wollte etwas über die Welt erfahren - und meine Fantasien.

Gerade habe ich eine Vokabel ‚Welthaltigkeit‘ gelesen, obgleich eine Welt in Texten nicht auszumachen ist, sogar dann nicht, wenn über eine erfahrene Welt erzählt wird. Tatsächlich ist in Texten auffallend viel nichts: Leerräume, sowohl zwischen den Buchstaben als auch innen drin. Und zwischen den Zeilen erst! Die bildliche Rede, die sprachliche Bezüge nicht erlaubt, sie als unstatthaft verwirft, macht letztlich Erfahrungen unmöglich, lebt nur in der Fantasie, viel umfangreicher, als meine acht Schulheftseiten es je sein konnten, ein ganzes Leben lang!

 

 

Thors Hammer

 

Mich erreichte vor einigen Monaten eine Werbe-Aktion, die mich zunächst sprachlos werden ließ. Erst der Einbezug mythischer Vorstellungen half mir, einige Worte zu finden.

Auf den Massenmärkten stellt sich die Frage nach einer unternehmerischen Etablierung in besonderer Weise. Hat man als Auftraggeber nichts anderes als üblichen Standard zu bieten, und sind die potentiellen Kunden längst mehr oder weniger gut bedient, ist auch nicht vorgesehen, für geringere Kosten eine bessere Dienstleistung zu erbringen, vielleicht könnte ein Viking helfen?

Diese Idee ist einem Telekommunikationsunternehmen im Ruhrgebiet verkauft worden. Ein Viking lässt die Raubzüge der Wikinger wieder aufleben, die mit ihren Langbooten bis vor nahezu jede Haustür rudern konnten, über die See, die Flüsse hinauf. Solche handgearbeiteten High-Tech-Geräte stehen heute kaum mehr zur Verfügung, aber es gibt andere, einfachere Mittel, um Wege zu möglichen Kunden zu finden. Durch Mailings. Postdienstleister tragen Axt und Schwert bis in jede Stube.

Wichtig ist, konsequent zu sein. Jede Woche ein Besuch. Und der Ton hat allmählich lauter, schärfer zu werden. „Wir kontaktieren Sie inzwischen zum dritten Mal. Können Sie nicht lesen?“ Bis hin zu: „Sie plumper Analphabeth!“ Natürlich wird, der mythischen Überzeugung nach, Thors Hammer die Unwilligen letztlich vernichten.

 

 

Kann man Aspekte essen?

 

Sprachkritik zu äußern, ist gesellschaftlich eher unerwünscht, zumal in der erfolgten satirischen Variante. Entweder war der Text den Magazinen, den er 2011 angeboten wurde, für eine Veröffentlichung zu unseriös – oder zu intellektuell. Erscheinen konnte der Beitrag schließlich 2014 in meinem Buch „Wie wärs mit einer Revolution? Sarturnalien aus dem Ruhrgebiet“, als eine methodische Vergewisserung.

Glaubt man zeitgenössischen Sach- und Fachautoren, dann ist die erfassbare Welt voller Aspekte. Sie tauchen als politische, juristische, ökonomische Aspekte, ja sogar als Beziehungsaspekte auf. Offen bleibt jedoch stets, um was es sich handelt. Dieser eklatante Mangel lässt nicht nur an einem fachlichen Niveau der Begriffe zweifeln.

Dem hohen Verbreitungsgrad nach müssten Aspekte sogar in Wohnküchen vorkommen können. Von alters her sind Worte aspectus verbürgt, auch im Küchenlatein. Ich liebe großzügige Wohnküchen. Sie laden viel eher zum Verweilen ein, als die Schlafwagenatmosphäre der Wohnlandschaften. An meinem Tisch kann man bequem aufrecht sitzen, Gemüse pulen, Fische filetieren und bei Kaffee oder Tee einfach reden. So über Aspekte, um sie, falls dazu geraten werden kann, anschließend in der Pfanne bruzzeln zu lassen, bevor sie anfangen zu faulen und widerlich zu stinken. Sind das nicht außergewöhnlich kurze Wege?

Rasch sah ich jedoch die Schwierigkeit, angemessene Übersetzungen der vielen Worte Aspekt zu finden. Die bezeichneten Sachen, obgleich sie symbolisch in einer gläsernen Schüssel gelandet waren, blieben undeutlich, irgendwie ver- oder aufgequollen, so als enthielten sie ein mir unbekanntes Treibmittel. Eine Gestalt hätte man nicht in Abrede stellen können, doch irgendeine Gestalt zu haben, sagt wenig, eigentlich gar nichts aus. Mal hätte man vielleicht von einem Kriterium sprechen können, mal eventuell von einem Thema oder Unterthema, mal von einem Merkmal oder von einem Haufen von Haufen von Daten, oder so. Die sprachliche Auszeichnung, Aspekt zu sein, passte ganz und gar nicht zu diesem sonderbaren Wust.

In den Achtzigern waren noch Punkte sehr beliebt. Sie hätten – munkelte ich während meines Studiums – von den Krawatten oder Kleidern stammen können, oder von den Tapeten der Arbeitszimmer. Möglich wären auch halluzinogene Erfahrungen gewesen. Fliegenpilze sollen zu famosen Wahrnehmungen verhelfen können.
Besonders geeignet sind Punkte zur Behauptung von Wahrheiten: Der Punkt ist, dass ... Womit die Nullstelle gefüllt wird, ist dann ziemlich egal. Der Punkt ist die Wahrheit! Punkt. Mit Aspekten wäre ein solches Verhalten hingegen unüblich. Auf Wahrheit legt man es nicht so an. Man setzt sie – würde man sich sonst erläuterungslos äußern – einfach voraus. Handelt es sich nicht um die Demonstration eines aufgeklärten Umgangs?

In antiker Zeit hatten Aspekte die Wahrnehmung betroffen, nur sekundär auch Wahrgenommenes. Die sich Äußernden brachten eine besondere Ansicht oder Hinsicht ein. Noch heute ist die Formulierung in dieser Hinsicht geläufig. Ein Fachbegriff wurde jedoch nicht geprägt.
Heute, so ist zu vermuten, wird neben der Wahrheit auch die Wahrnehmung als selbstverständlich vorausgesetzt, also alles, was irgendwie mit wahr buchstäblich zusammenhängt. Eine Gedankenlosigkeit der Sach- und Fachautoren? Und eine neuropsychische Sprachfäule?

Und im Magen erst! Wer könnte garantieren, dass diese ominöse Fäule nicht zu Reizen führt, die außer Blähungen – in welche Richtungen? – auch noch opulente Geschwüre und Durchbrüche produziert? Einen guten Appetit!

 

 

Politisches Marketing. Ruhr.2010, Duisburg, Loveparade

 

Als es in Duisburg 2010 zur Katastrophe kam, war ich in Düsseldorf auf einer Modenschau kleiner Labels; der Designer Treff hatte geladen. Mehr als sich überstürzende Nachrichten waren jedoch nicht zu ergattern. Eine Freundin von mir hatte die Loveparade besuchen wollen. Alle Netze waren überlastet, die Zugverbindungen unterbrochen. Erst am kommenden Tag erfuhr ich, dass sie noch lebte. − Der Artikel enstand einige Tage später und wurde in der Gazette (Nr. 27/2010) abgedruckt. Das Besondere: der Blick war gar nicht auf die bereits mit der Planung der Veranstaltung völlig überforderte Stadt Duisburg gerichtet.

Marketing ist alles. Auch dann, wenn das Produkt gar nicht vorweisbar ist? Typische Metropolen wie New York, London, Paris haben nicht nur viele Einwohner, sie ziehen nicht bloß Wirtschaft, Kultur und Touristen an. Die Städte wurden und werden auch gestaltet. Metropolen waren und sind eigenständige politische Räume. Als Metropoleregion gelten hingegen Verflechtungsgebiete mit wenigstens einer Metropole. Typische Beispiele für solche Regionen sind Tokyo-Yokohama, Berlin-Brandenburg. Im Ruhrgebiet kam man auf die Idee, dass es auch anders geht. Im Vorfeld und Rahmen der Events zur europäischen Kulturhauptstadt ist aus dem Ballungsraum eine Metropole geworden, die auch ohne eigenständigen politischen Raum auskommt.

Dem Vorgehen gegenüber fallen Defizite auf, die dem Bemühen diametral entgegenstehen. Das Ruhrgebiet war in der Zeit von Kohle und Stahl eine hochgradig politisierte Region. Die Mitgliedschaft und das Engagement in einer Partei, nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend in der SPD, gehörte zum Alltag der Menschen. Die Einlussmöglichkeiten reichten jedoch nur bis zu den jeweiligen Stadt- und Gemeindegrenzen. Das Leben gestaltete sich primär im Ortsteil. Privater Hort war der Schrebergarten, die Laube. Die Region ist bis heute kein politischer Raum. Eine Identifikation mit dem Ruhrgebiet fehlt. Die Region ist drei verschiedenen Bezirksregierungen zugeordnet, die allesamt außerhalb des Ruhrgebiets liegen: in Düsseldorf, Münster und Arnsberg. Diese noch aus preußischer Zeit (1816) stammenden unterschiedlichen Zuständigkeiten haben eine Metropolenbildung wirksam unterbunden.

2003 formulierten acht Großstädte Ziele für eine Kooperation: im „Stadtregionalen Kontrakt”. Inzwischen gelten diese Ziele als Grundlage aller Städte und Gemeinden, die im Regionalverband Ruhr, dem Zweckverband der Kommunen, vertreten sind. Doch beschränken sich diese Vorgaben auf Flächenplanungen und ein Standortmarketing. Seit Herbst 2009 obliegt dem Zweckverband die Koordinierung der Flächennutzungspläne als hoheitliche Aufgabe. Für die Schaffung eines gemeinsamen Regierungsbezirks war und ist bis heute keine Einigung aller Beteiligten zu erzielen, obwohl seit den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts immer wieder darüber diskutiert wurde. Die notwendige Verwaltungsreform beträfe nicht nur die Region, sondern ganz Nordrheinwestfalen. Ebenso gibt es derzeit keine Pläne, dem Regionalverband der Kommunen weitere hoheitliche Aufgaben der verschiedenen Bezirksregierungen zukommen zu lassen. Anstatt dem Ruhrgebiet die geeigneten Rahmenbedingungen bereitzustellen, um eine Entwicklung zur Metropole zu ermöglichen, eine, die dem gesamten Bundesland neue Impulse geben könnte, gefällt man sich darin, die Region faktisch als Provinz zu erhalten.

Die regionale Moibilität ist rückständig. Der Nahverkehr, der die überlasteten ‘Stadtautobahnen’ A40 und A42 wirksam entlasten könnte, lässt Fahrten innerhalb des Ruhrgebiets unter Umständen länger dauern als eine Zugfahrt nach Frankfurt. Jede Großstadt hat ihre eigene Verkehrsgesellschaft, die Fahrpläne sind schlecht abgestimmt, nicht bloß untereinander, auch mit der Deutschen Bahn. Der Nahverkehr befördert nur 11% des regionalen Personenverkehrs. In Berlin sind es gut 25%. Während der Vorbereitungen zum Jahr der Kulturhauptstadt, eingedenk der erhofften auswärtigen Besucher, sah man sich genötigt, übergangsweise den Eindruck von regionaler Mobiltät vermitteln zu müssen und investierte punktuell in den Nahverkehr. Eine Lösung des strukturellen Problems sähe anders aus. Die zur Verfügung stehenden Verkehrsverbindungen werden den Einwohnern und der regional notwenigen wirtschaftlichen Entwicklung kaum gerecht.

Auch die Wirtschaftsförderung ist primär lokal angesiedelt. Seit 2007 ergänzt eine aus dem Zweckverband entstandene Einrichtung die separaten, in Konkurrenz ausgetragenen Bemühungen der Städte und Gemeinden. In dieser Kooperation hat man ‘Kompetenzfelder’ der ansässigen Wirtschaft ausgewählt, sowohl Branchen-Cluster als auch Branchen-Konzentrationen, um die Region im nationalen und internationalen Vergleich zu positionieren. Die Cluster Energie, Logistik und Chemie werden von der ansässigen Großindustrie dominiert. Die Gesundheitswirtschaft besteht primär aus den Kliniken in der Region, die in hoher Konzentration vorzufinden sind. Zusätzlich geförderte Zweige stehen überwiegend in einem direkten Zusammenhang mit den neu entstandenen Technologie- und Wissenschaftszentren. Mit diesem ‘Kompetenzfeldmarketing’ erhofft man sich den Ausbau von Clusterbildungen und ein weiteres Fortschreiten der Konzentrationen. Es ist schon einmal geschehen, dass sich die Wirtschaft im Ruhrgebiet zu sehr an den Großbetrieben orientiert hat. Der Mittelstand war schwach und einseitig auf die herrschende Kohle- und Stahlindustrie bezogen, wie in der ‘Regionalkunde’ des Verbandes betont wird. In einer politischen Diskussion hätte die Frage nach dem Mittelstand öffentlich aufgeworfen werden können und auch müssen.

Das Fehlen einer regionalen Politik hat jüngst zu einer kaum ermessbaren Katastrophe beigetragen. In Duisburg sind durch die Loveparade vom 24. Juli 2010 einundzwanzig Menschen zu Tode gekommen und über fünfhundert zum Teil schwer verletzt worden. Der Plan, die Loveparade im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt und im Zusammenhang mit der Kampagne ‘Metropole Ruhr’ in Duisburg stattfinden zu lassen, hat zu einem Sicherheitskonzept geführt, das den ungeeigneten Bedingungen angepasst worden ist. Sowohl die Ruhr.2010 GmbH, Betreiber der Kampagne ‘Metropole Ruhr’, als auch die ehemalige Landesregierung haben auf eine Durchführung gedrungen. Für die Sicherheit zu sorgen, lag fraglos bei der Duisburger Genehmigungsbehörde und dem privaten Veranstalter: Diese Verantwortung ist ihnen nicht zu nehmen. Zu den Rahmenbedingungen der Loveparade gehörte jedoch auch ein von außen produziertes Drängen. Fritz Pleitgen sah sich als Geschäftführer der Ruhr.2010 GmbH veranlasst, seine moralische Mitschuld öffentlich (ZDF, 29.07.10) einzugestehen. Eine regionale Planung der Loveparade hätte völlig anders verlaufen können: Duisburg wäre aufgrund der ungeeigneten Bedingungen als Ausrichtungsort kaum in Betracht gezogen worden, unabhängig von einem lokal herrschenden Ehrgeiz. Alternativen hätte es in der Region gegeben.

Das Ruhrgebiet benötigt sowohl für die weitere Entwicklung als auch zur Vermeidung zukünftiger Katastrophen einen politischen Raum. Ohne ein gemeinsames politisches Planen und Gestalten würde die Region ein in sich zerrissener Ballungsraum bleiben, der den gestellten Aufgaben nicht gerecht wird. Die Frage nach einer Metropole ist hingegen nachrangig. Zwei Wege, eine regionale Politik betreiben zu können, sind bislang angedacht worden: 1. Eine Verwaltungsreform, die das gesamte Bundesland beträfe, 2. die Überantwortung von Aufgaben und Ressourcen der verschiedenen Bezirksregierungen auf den Regionalverband. Der zweite Weg ist unter den derzeitigen Bedingungen leichter zu beschreiten. Auf diesem Weg wäre allerdings zu erörtern, ob die neu zu schaffende politische Institution nicht einer gesonderten politischen Legitimität durch die Bürger der Region bedarf. Als Kommunalverband besonderer Art wäre eine solche Möglichkeit durchaus gegeben. Das Versammlungsgremium des Regionalverbandes nennt sich bereits ‘Ruhrparlament’. Warum nicht ein echtes Parlament entstehen lassen?

 

 

 

Die Schrift

 

Im Ruhrgebiet kann es leicht geschehen, einer türkisch-kurdischen Vergangenheit über den Weg zu laufen, die überrascht. Aus den Berichten eines Kunden über seine Kindheit im östlichen Anatolien fertigte ich Geschichten für den privaten Gebrauch an. Ein Beispiel:

Ich blieb nach dem Aufstehen nahe bei der Hütte. Mutter wollte mit mir eine Reise in ein Dorf machen, das tiefer im Tal lag. Sie müsse zu einem Mann, der die Geheimnisse des Korans kennen würde, hatte sie mir am Abend erzählt, und sie könne mich nicht alleine lassen. Es würde ein langer Weg sein, sie hatte mich prüfend angeschaut, aber es ginge um meinen Vater, um seine baldige Rückkehr in unser Dorf. Da müsse ich stark sein.

Mutter lebte im vierten Sommer ohne Mann, und ich hatte meinen Vater noch gar nicht gesehen. Er war in der fernen Großstadt, um zu arbeiten. Sein Geld habe bislang nicht gereicht, sagte Mutter, wenn ich nach ihm fragte, um in den Wintern in das Dorf zurückzukehren, wie es die anderen Männer taten. Und die Nachbarin zischelte mir, wenn sie morgens ihre trägen Kinder aus der Hütte gejagt hatte, dass er sein Geld mit Würfeln verspiele.

Der Weg führte über Esel- und Ziegenpfade tiefer in das Tal hinein. Drei Dörfer mussten wir hinter uns lassen, und ich war stark wie ein Mann, jammerte nicht, wenn andere Leute in unserer Nähe waren.
Das Dorf, in das wir schließlich kamen, war an den Berg gebaut. Von weitem waren die Hütten nicht zu erkennen gewesen. Rauch stieg geisterhaft aus den Felsen auf. Erst als ich kleine Gärten im schmalen Tal sah, hoben sich mir die Hütten ab.

Mutter fragte am Dorfeingang nach dem Mann, den sie um Hilfe bitten wollte. Die Frauen schickten uns seitlich einen steilen Pfad hinauf. Wir stiegen und ich dachte, dass uns der dunkle Fels verschlingen würde, da war endlich die Hütte.

Nach der Begrüßung und einigen Worten, die so leise gesprochen wurden, dass ich sie nicht verstehen konnte, musste ich mich neben die Tür setzen. Mutter gab dem Mann eine Münze. Als sich seine Hand nicht schloss, legte sie zögernd eine weitere hinein. Das waren die beiden aus unserem Versteck, die zwei Münzen, die wir hatten. Der Mann wies Mutter an, einige Schritte zurückzugehen und sich auch niederzusetzen. Und sie tat, wie er befohlen hatte.

Der Mann holte den Koran, eine Schale mit Wasser, ein Blatt Papier, einen Stift und postierte sie vor seiner Decke. Dann setzte er sich und sprach mit der Hand auf dem geschlossenen Buch viele, viele Verse. Ich wurde müde. Der Weg war lang gewesen. Und seine Stimme sang monoton. Da griff er plötzlich nach Blatt und Stift. Er leckte die schwarze Spitze und fuhr mit Schwung über das Blatt.
Nachdem er den Stift beiseite gelegt hatte, hob er das Blatt an und zeigte es uns. Ich sah Zeichen wie sie im Koran standen. Er hatte arabisch geschrieben. Ich kannte niemanden, der das konnte. Nicht einmal der Hodcha aus unserem Dorf, der den Koran zu sprechen lehrte, konnte diese Zeichen schreiben. Und die Zeichen waren rot, rot wie Feuer, der Stift aber grau-schwarz.
Ich wagte kaum zu atmen, kauerte mich zusammen. Da nahm er das Blatt, legte es auf das Wasser der Schale und drückte es mit dem Zeigefinger hinein. Die Feuerschrift verschwamm, zog rote Fäden im Wasser. Auf dem Blatt waren nur noch Flecken zu sehen. Er zog das Blatt heraus, nahm die Schale und stand auf. Auch Mutter hatte aufzustehen. Sie musste zu ihm hingehen, und er setzte die Schale in ihre Hände ab. Da trank sie das Wasser mit den Feuerfäden, und mir rannte etwas heiß, kochend heiß durch die Kehle. Ich röchelte, schrie und sprang nach draußen, lief und lief hinab zum Dorf.

Mutter, nachdem sie mich am Dorfrand eingefangen hatte, lächelte. Sie strich mir über den Kopf. Bald, wenn Allah wolle, bald werde Vater kommen. Und sie schlug mit mir an der Hand den Rückweg ein.

 

 

Bauernhof und Zechenbahn

 

prägten meine ersten Lebensjahre. Als Kind habe ich noch Milch mit einer weißen Plastikkanne vom Hof geholt. In den offenen Wagons, die zwischen den Feldern an mir vorbeifuhren, lagen verstreut Werkzeuge, geschichtetes Holz oder verdreckte Matratzen. Kaum einer, dem das Ruhrgebiet fremd ist, mag solche Eindrücke glauben.

Häufig kommt es mir vor, als sei ich niemals sesshaft geworden. Die Wände des Büros blieben kahl. Die eingekaufte junge Kunst steht zwischen Schreibtisch und Sekretär. Unruhe befällt mich, sobald meine Arbeit auf Kundenwunsch in Routine zu erlahmen droht.
Mein primäres Revier ist die Sprache, ihre flüchtigen Gestalten und tönenden Laute. Ein dschungelhaftes Gehölz, das sich kahlgeschlagene Plätze noch zurückholt. Von Spaziergängern nur von außen beäugt.
Die Vielfalt sprachlichen Ausdrucks, ob als Infotainment, wissenschaftlicher Disput oder in narrativer Form, erfordert ein unablässiges Durchstreifen. Vor Überraschungen ist man niemals gefeit.
Der Claim wird überschätzt! Kann man aus ihm bloß den Grad exaltierter Enttäuschung ablesen: Gegenüber dem Produkt und dem sprachlich kümmerlichen Rest.

Ich arbeite redaktionell, in der klassischen Werbung als auch, umgangssprachlich formuliert, schriftstellerisch. Die Vielfalt der Aufgaben wirkt einem möglichen Trott entgegen und bereichert die Ausdrucksmöglichkeit.
Warum soll die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, nicht auch in der Werbung nützlich sein? Was ist gegen ein Buch zu sagen, das man auch im Hinblick auf potentielle Leser schreibt, nicht bloß für sich? Wem kann eine Fähigkeit zur Analyse schaden, die in der Auseinandersetzung mit der Philosophie, auch der jüngeren, gewachsen ist?
Es ließe sich eine leidliche Buchstabenkombination vermeiden, die vorgibt, auf eine unternehmerische Positionierung zu zielen.